Grenzenlose Kunstfreiheit!?

Die Freiheit der Kunst genießt im deutschen Rechtsstaat einen starken Schutz. Zu Recht: Kunst kann ein wichtiges Mittel der Herrschaftskritik, Reflexionsfläche für gesellschaftliche Entwicklungen oder auch Diskursbegleiterin sein.

Im Jahr 2016 erfuhr die öffentliche Diskussion darüber, was Kunstfreiheit bedeutet und was Kunst darf, durch das satirische Gedicht „Schmähkritik“ von Jan Böhmermann ein Revival, in dem Böhmermann Bezug auf ein satirisches Lied der Sendung „extra 3“ über den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan sowie die Reaktionen hierzu nahm. Künstler:innen greifen mit ihren Werken aber nicht nur in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein, streifen die Grenze zur Beleidigung gemäß § 185 Strafgesetzbuch (StGB) oder verletzen die religiösen Gefühle großer Religionsgemeinschaften (Mohammed-Karikaturen). Einige bemächtigen sich Tieren, um sie für ihre beziehungsweise im Rahmen ihrer Werke zur Schau zu stellen, als Requisiten zu benutzen oder gar zu töten.

Zuletzt machte in diesem Zusammenhang zum Beispiel der britische Künstler Damien Hirst, der für eine Installation im Wolfsburger Kunstmuseum Tausende Fliegen in eine tödliche Falle lockte, von sich reden. Viel Kritik erfuhr 2022 aber auch die Deutsche Oper in Berlin. Stefan Herheim setzte für eine Inszenierung sensible Fluchttiere im Bühnenbild ein, genauer gesagt: Kaninchen und Meerschweine.

Aber: Dürfen Tiere auf diese Art zur Schau gestellt werden? Dürfen sie gar getötet werden, damit ihre Körper in Kunsträumen (Hirst) ausgestellt werden können? Dürfen lebende Goldfische in einem Mixer schwimmend der Gefahr ausgesetzt werden, dass Besucher:innen ihrer Neugier oder anderen Neigungen folgen und durch Betätigung des Startknopfes über deren Leben entscheiden (Marco Evaristti)?

Die Kunst und ihr umfassender Schutz durch das Grundgesetz

Der Blick auf die Geschichte zeigt, weshalb die Freiheit der Kunst von großer Bedeutung ist.

Lange Zeit stand die Kunst in den Diensten von Fürsten, der Kirche, des Staates.[1]Würkner, Das Bundesverfassungsgericht und die Freiheit der Kunst, S. 17. Die Weimarer Reichsverfassung lieferte 1919 als Reaktion auf die Repressalien, denen sich Kunstschaffende durch Polizei- und Strafgesetze in der wilhelminischen Zeit ausgesetzt sahen, die Vorlage für die heutige liberale Regelung.[2]Hamann, VerwArch 75 (1984), 15 ff.; Stern, Staatsrecht IV/2, S. 611.

Nachdem die Nationalsozialisten die Kunst unter ihre Kontrolle brachten, für sich vereinnahmten und beispielsweise als „entartet“ brandmarkten,[3]Bonner Kommentar, Art. 5 Abs. 3, Rn. 32. stellte das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ihre Bedeutung 1949 wieder her. In der DDR hingegen war die Kunst eher durch Zensur geprägt. Seit 1990 und mit der Zusammenführung von DDR und BRD genießt die Kunstfreiheit in ganz Deutschland einen hohen Stellenwert. Gleichlaufend mit der Presse- und Meinungsfreiheit ist die Kunstfreiheit also auch eng verbunden mit der Emanzipation des Bürgertums[4]Stern, Staatsrecht IV/2, S. 610; Hamann, VerwArch 75 (1984), 17. sowie der Herausbildung des demokratischen und freiheitlichen Staates.

Naturgemäß ist Kunst ein offener Begriff – das führt zu einem Dilemma: Um Schutz gewährleisten zu können, muss klar sein, was geschützt werden soll. Der Staat soll nicht „Kunstrichter“ sein und so haben sich in den zurückliegenden 50 Jahren drei verschiedene Kunstbegriffe herausgebildet, die das Bundesverfassungsgericht in Anerkennung der Undefinierbarkeit nebeneinander verwendet. Die wesentlichen Elemente dafür sind unter anderem die schöpferische Betätigung, die Formgebung – wie Malen, Dichten und Schauspielern – und die Deutungsvielfalt.

Die enorme Wichtigkeit der Kunstfreiheit lässt sich auch daran erkennen, dass die Kunstfreiheit lediglich durch kollidierendes Verfassungsrecht, das heißt Grundrechte Dritter und andere Rechtsgüter von Verfassungsrang, eingeschränkt werden kann. Im Zuge der sogenannten praktischen Konkordanz sind die kollidierenden Verfassungsgüter in einen schonenden Ausgleich zu bringen, der dazu führen soll, dass mehrere kollidierende Verfassungsgüter sich möglichst weitgehend entfalten können.

Zum Verhältnis von Kunstfreiheit und Tierrechten bis zur Einführung des Art. 20a Grundgesetz

Bis zum Jahr 2002 fand sich das Rechtsgut Tierschutz lediglich auf einfachgesetzlicher Ebene in Form des Tierschutzgesetzes wieder. Da das 1972 in Kraft getretene Tierschutzgesetz (TierSchG) als bloß einfaches Gesetz das Grundrecht auf Kunstfreiheit jedoch nicht einschränken kann, fehlte es lange Zeit an dem nötigen rechtlichen Werkzeug, um den Tierschutz der Kunstfreiheit wirksam entgegenzusetzen und so das Auslegungsinstrument der praktischen Konkordanz überhaupt erst anwenden zu können. Die Fälle, in denen der Tierschutz mit der Kunstfreiheit kollidierte, wurden innerhalb der Rechtsprechung daher sehr unterschiedlich entschieden.

Das Landgericht Köln ließ in seiner Entscheidung vom 02.02.1989[5]LG Köln, 104 Qs 2/89, Natur und Recht 1991, 42 (43). den Tierschutzgedanken über einen Umweg einfließen. Im Rahmen einer Theatervorführung wurde einem Huhn der Kopf auf der Bühne abgeschlagen. Der Protagonist rieb sich daraufhin mit dem Blut des Tieres ein. Mit dem Theaterstück sollte für Menschenrechte protestiert werden. Den Widerspruch, der im Töten eines Lebewesens für die Menschenrechte liegt, erkannte auch das Gericht und entschied, dass der Angeklagte

„verkenne, dass gerade auch die Tötung des wehrlosen und deshalb besonderen menschlichen Schutzes bedürfenden Tieres sich als ein erster Schritt zur Verletzung der Menschlichkeit darstelle“.

Das Landgericht sah die Kunstfreiheit daher durch den Verstoß gegen das Sittengesetz und somit durch die Verletzung des Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) eingeschränkt.

Das Amtsgericht Kassel setzte sich in seiner Entscheidung vom 05.10.1990[6]AG Kassel, 99 OWi 626 Js 15932.8/90, NStZ 1991, 443 (444). mit folgendem Fall auseinander: Ein Wellensittich wurde in ein rundes Glasbehältnis gesetzt, welches mit einer Masse aus aufgeschlagenen Hühnereiern und Wurstresten gefüllt war. Das Glas wurde daraufhin für circa 10 Sekunden hin und her geschwenkt. Der Wellensittich war danach komplett mit der Masse bedeckt. Er wurde am Ende gereinigt. Zwar stellte das Gericht fest, dass dem Tier hierdurch erhebliches Leid zugefügt wurde, die Performance sei jedoch als „avantgardistische Kunst durch das vorbehaltlos gewährte Grundrecht der Kunstfreiheit geschützt“.

Und auch das Oberlandesgericht Köln erkannte in seinem Beschluss vom 29.09.1994[7]OLG Köln, Ss 414/94, BeckRS 1994, 122851 Rn. 4. zwar einen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz, indem es feststellte, dass für die Tötung eines Hirsches für eine rituelle szenische Aufführung kein vernünftiger Grund gemäß § 17 Nr. 1 TierSchG vorlag. Ferner ging der Senat sogar bereits damals davon aus, dass dem Tier- und Naturschutz nach vorherrschender Auffassung Verfassungsrang zukäme und dies zum Teil auch schon in Landesverfassungen Eingang gefunden habe. Da jedoch weder ein Förster noch ein Jäger auf vorherige Anfrage des Angeschuldigten Bedenken äußerte, unterlag der Angeschuldigte aus Sicht des Oberlandesgerichts einem unvermeidbaren Verbotsirrtum. Dem Angeschuldigten fehlte nach Einschätzung des Gerichts also die Einsicht, dass er Unrecht begangen hat. Er handelte daher in subjektiver Hinsicht ohne strafrechtliche Schuld.

Zum Verhältnis von Kunstfreiheit und Tierrechten seit der Einführung des Art. 20a GG

Mit der 2002 erfolgten Aufnahme des Tierschutzes als Staatszielbestimmung in Art. 20a GG erhielt der Tierschutz Verfassungsrang. Staatszielbestimmungen sind Verfassungsnormen mit rechtlich bindender Wirkung. Sie begründen anders als Grundrechte keine Abwehransprüche gegen staatliches Handeln, sondern eine objektiv-rechtliche Verpflichtung des Staates, sein Handeln – zumindest auch – an dem betreffenden Staatsziel auszurichten.[8]BbgVerfG, VfGBbg 9/19, NJW 2020, 3579, Rn. 155.

Der Tierschutz ist seitdem nicht mehr nur einfachgesetzlich geregelt, sondern kann dem Grundrecht auf Kunstfreiheit als verfassungsimmanente Schranke entgegengehalten werden. Dies änderte die Rechtslage dahingehend, dass nun nach den Umständen des Einzelfalls im Wege einer Abwägung entschieden werden muss, welchem der miteinander konkurrierenden Verfassungsschutzgüter für die konkret zu entscheidende Frage das höhere Gewicht zukommt.

Die Möglichkeit, den Tierschutz nun direkt mit der Kunstfreiheit abwägen zu können, führte zumindest teilweise zu erfreulichen Entscheidungen.

Das Kammergericht Berlin setzte sich in seinem Beschluss vom 24.07.2009[9]KG Berlin, 1 Ss 235/09, NStZ 2010, 175 (176). mit einer Kunstinszenierung auseinander, bei der zwei Kaninchen das Genick gebrochen und der Kopf abgeschlagen wurde. Die Richter:innen sahen in der Aufnahme des Tierschutzes als Staatszielbestimmung „die Anerkennung der Mitgeschöpflichkeit von Tieren in Verhältnis zum Menschen“ und stellten den Tierschutz über die Kunstfreiheit.

Und auch das Verwaltungsgericht Berlin gab in seinem Beschluss vom 24.04.2012[10]VG Berlin, VG 24 L 113.12, BeckRS 2012, 49903. dem Tierschutz den Vorrang. Das Gericht bestätigte damit das Verbot, welches das zuständige Veterinäramt einer Künstlerin gegenüber aussprach, die im Rahmen einer an traditioneller thailändischer Kunstform orientierten Veranstaltung zwei Hundewelpen töten wollte. Die Tötung eines Wirbeltieres stelle den gravierendsten Eingriff in das Staatsziel dar, sodass der Tierschutz in diesem Fall weder der Kunst- noch der Religionsfreiheit weichen müsse.

Dennoch werden auch heute noch Tiere im Namen der Kunst ausgenutzt, was nicht zuletzt die aktuellen, oben genannten Beispiele von Damien Hirst und der Deutschen Oper in Berlin zeigen.

Die Abwägung der Schutzgüter

Wie oben bereits erwähnt, dient die Kunstfreiheit wichtigen Zielen und ist ferner auch ein spezielles Instrument der Meinungsfreiheit, nämlich immer dann, wenn durch künstlerische Darstellungen Meinungen vertreten oder verbreitet werden. Es ist daher wichtig und richtig, dass die Kunstfreiheit umfassend geschützt wird. Dass der Erhalt eines Lebens und der Schutz vor Leidens- und Schadenszufügung grundsätzlich schwerer wiegt als die Kunstfreiheit, sollte jedoch genauso eindeutig sein.

Und auch im Hinblick auf die Auswirkung, die dieses Abwägungsergebnis hätte, leuchtet ein, warum die Kunstfreiheit in einem solchen Fall ausnahmslos zurücktreten müsste. Denn zum einen können Künstler:innen ihre Kunst auch ohne Tierleid und -tötung umsetzen. Zum anderen wiegen die Nachteile, die mit dem Ausweichen auf eine Alternative verbunden sein könnten, in der Regel weniger schwer als die Belastung und das Leid der Tiere.[11]Hirt/Maisack/Moritz/Felde, TierSchG, § 3 Rn. 35.

Die Realität sieht leider oftmals anders aus. Kunst, die Tiere ausnutzt, gibt es nach wie vor. Teilweise wird dies sogar von Behörden genehmigt und somit gefördert. Stünden der Kunstfreiheit jedoch das Leben und das Wohlergehen eines menschlichen Lebewesens gegenüber, gäbe es vermutlich keine Diskussion. Hier wäre klar, dass die Kunstfreiheit hinter dem Schutzgut Leben zurücktreten muss. Dass dies, sobald es sich nicht mehr um ein menschliches, sondern um ein tierisches Lebewesen handelt, anders bewertet wird, ist eine weitere Ausformung des Speziesismus.

Speziesismus ist eine Diskriminierungsform, die allein aufgrund der Artzugehörigkeit dem einen Leben mehr Wert zuspricht als dem anderen. Dies geschieht sowohl innerhalb verschiedener Tierarten – der Hund, den wir streicheln, das Schwein, das für die Lebensmittelherstellung gequält und getötet wird – als auch zwischen menschlichen und tierischen Lebewesen.

Sobald sich mehr Menschen dieser Diskriminierungsform bewusst werden und sich gegen sie entscheiden und so der Hauptauslöser für das Leiden vieler tierischer Lebewesen aufgedeckt wird, wird auch der rechtliche Konflikt zwischen der Kunstfreiheit und dem Tierschutz klarer und eindeutiger aufzulösen sein.

Wie Sie den Tieren helfen können

Sollten Sie in Erfahrung bringen, dass Tiere im Rahmen einer Kunstinszenierung ausgenutzt werden sollen, gibt es verschiedene Möglichkeiten, den Tieren zu helfen und sie im besten Fall davor zu bewahren, als Kunstobjekt zu enden. Zum einen können Sie versuchen, beim zuständigen Ordnungsamt ein Ausstellungsverbot beziehungsweise eine Nichtzulassung der entsprechenden Inszenierung zu erwirken. Ferner sollten Sie in jedem Fall das zuständige Veterinäramt darüber informieren, dass Tiere entgegen dem Verbot des § 3 Nr. 6 TierSchG ausgenutzt werden sollen. Insbesondere wenn Tötungsabsicht besteht, kann sodann ein Einschreiten nach § 16 a Abs. 1 S. 1 TierSchG ersucht werden. In Berlin können Sie sich darüber hinaus auch an eine klageberechtigte Tierschutzorganisation, z. B. PETA, wenden. Diese kann die Rechte der Tiere daraufhin im Wege der Tierschutzverbandsklage vor dem Verwaltungsgericht geltend machen.

Sollten Sie erst, nachdem die Inszenierung stattgefunden hat, erfahren, dass Tiere getötet wurden oder ihnen anderweitig erhebliches Leid zugefügt wurde, können Sie dies bei der Polizei oder der zuständigen Staatsanwaltschaft anzeigen.

War im Winter 2022 Rechtspraktikant bei PETA Deutschland e.V. in Berlin.

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arbeitet seit Dezember 2021 als Justiziarin für das PETA-Rechtsteam und befasst sich vorwiegend mit Fragestellung aus dem Bereich des Tierschutz- und Medienrechts.

Quellen[+]