Die Übergangsfrist für das Ende von Vollspaltenbuchten in der Schweinehaltung ist mit 17 Jahren zu lang und auch sachlich nicht gerechtfertigt; dies entschied der Österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) Anfang Januar 2024.
Beschluss des österreichischen Nationalrates: Ende der Haltung auf unstrukturiertem Vollspaltenboden
Im Jahr 2022 verbot der österreichische Nationalrat die Haltung von Schweinen auf unstrukturiertem Vollspaltenboden ohne Funktionsbereich.[1]Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, Jahrgang 2022 Ausgegeben am 28. Juli 2022 Teil I, 130. Bundesgesetz: Änderung des Tierschutzgesetzes und des Tiertransportgesetzes 2007, … Weiterlesen Die Regelung sollte für Bestandsanlagen oder schon bewilligte Anlagen aber erst nach einer Übergangsfrist von 17 Jahren gelten. Begründet wurde die absurd lange Übergangsfrist der Regelung damit, bestehenden landwirtschaftlichen Betrieben Planungssicherheit zu geben und getätigte Investitionen zu schützen.
VfGH: Übergangsfrist zu lang und sachlich nicht gerechtfertigt
Eine derartige Übergangsfrist sei „zu lang und sachlich nicht gerechtfertigt“, entschied der VfGH. Der Gesetzgeber habe eine Wertung darüber getroffen, dass die Haltung von Schweinen in unstrukturierten Vollspaltenbuchten ohne Funktionsbereich verboten sein soll.[2]Verfassungsgerichtshof Österreich, Übergangsfrist für Vollspaltenbuchten in der Schweinehaltung ist mit 17 Jahren zu lang, https://www.vfgh.gv.at/medien/Vollspaltenboeden.php [zuletzt abgerufen am … Weiterlesen Daher sei es sachlich nicht gerechtfertigt, bei der Abwägung zwischen Investitions- und Tierschutz mit einer Frist von 17 Jahren einseitig auf den Investitionsschutz abzustellen. Zudem – so argumentierte das Gericht weiter – würde dies für diejenigen, die höhere Standards einhalten, zu höheren Kosten führen und dann ein ungleicher Wettbewerb herrschen, der 17 Jahre lang dauern würde.
Lange Übergangsfristen für tierschutzwidrige Praktiken – auch in Deutschland keine Seltenheit
Die in Deutschland verbreitete Haltung von Tieren auf Vollspaltenböden, die Anbindehaltung und die Haltung von Tieren in Käfigen stehen schon lange in der Kritik.Laut dem Tierschutzgesetzkommentar Hirt/Maisack/Moritz/Felde ist es
„praktisch ausgeschlossen, in diesen Haltungsverfahren noch eine art- und bedürfnisangemessene verhaltensgerechte Unterbringung im Sinne von § 2 Nr. 1 [Tierschutzgesetz] zu sehen.“ [3]Hirt, in: Hirt/Maisack/Moritz/Felde, Tierschutzgesetz, 4. Auflage 2023, § 2 TierSchG, Rn. 36.
Dass der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber ein Verbot derart tierschutzwidriger Haltungsformen mit langen Übergangsfristen verbindet, ist auch in Deutschland keine Seltenheit. Der Grünen-Politikerin und Volljuristin Renate Künast zufolge gibt es „kaum ein weiteres Rechtsgebiet, das noch mehr von Ausnahmen und wiederholten langjährigen Übergangsfristen lebt, die sich nicht am Tier, sondern an der Laufzeit von Krediten der Betriebe ausrichtet“.[4]Künast, Straftaten gegen den Tierschutz effektiv bekämpfen, ZRP 2021, 238 (238). Dass diese Einschätzung zutrifft, zeigen einige Beispiele:
Die Kleingruppenhaltung
Im Jahr 2010 wurde offiziell die tierschutzwidrige und europarechtswidrige Käfighaltung von Hühnern verboten. Erlaubt ist in Deutschland allerdings immer noch die sogenannte Kleingruppenhaltung, also die Haltung von mehreren Hennen in einem Käfig.
Hier hat eine Henne eine nutzbare Fläche von 800 cm² (also gerade etwas mehr als ein DIN-A4-Blatt) sowie – kaum der Rede wert – ein Nest von 90 cm² (entspricht ca. der Fläche einer mittelgroßen Hand).[5]Hirt, in: Hirt/Maisack/Moritz/Felde, Tierschutzgesetz, 4. Auflage 2023, Vor § 12, Rn. 19. Im November 2015 beschloss der Bundestag eine Auslauffrist für bestehende Betriebe bis 2025. Für „besondere Härtefälle“ kann diese Frist aber um drei Jahre bis zum Jahr 2028 verlängert werden.[6]Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Mehr Tierschutz in der Legehennenhaltung, https://www.bmel.de/DE/themen/tiere/tierschutz/haltung-legehennen.html [zuletzt abgerufen am … Weiterlesen
Der Kastenstand
Mit einer Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung wurde die Haltung von Schweinen im Kastenstand im Jahr 2021 verboten. Unter einer Kastenstandhaltung ist zu verstehen, dass weibliche Schweine zur Besamung, zum Teil in der Schwangerschaft, bei der Geburt und zum Stillen ihrer Kinder in einen Metallkäfig eingezwängt werden. Sauen stehen laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) im Durchschnitt mehr als 5,5 Monate im Jahr im Kastenstand.[7]Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Aktuelle Herausforderungen in der Schweinehaltung im Hinblick auf den Tierschutz, … Weiterlesen
Die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung, die eine solch lange andauernde Kastenstandhaltung ausdrücklich, aber in system- und damit rechtswidriger Weise gestattet, steht damit im Widerspruch zu den gesetzlichen Anforderungen an eine artgerechte Tierhaltung des § 2 Nr. 1 und Nr. 2 Tierschutzgesetz (TierSchG).[8]Hoven/Hahn, Tierschutzstrafrecht – Ein Überblick, JuS 2020, 823 (826). Dieses Verbot gilt aber erst ab dem Jahr 2029 und auch nur teilweise: Zunächst erstreckt es sich nur auf den Deckbereich explizit und nicht auch auf den Abferkelbereich. Erst ab dem Jahr 2036 dürfen weibliche Schweine im Abferkelbereich dann „nur noch“ maximal fünf Tage um den Zeitraum der Geburt herum in den Kastenstand eingesperrt werden.[9]Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Aktuelle Herausforderungen in der Schweinehaltung im Hinblick auf den Tierschutz, … Weiterlesen
Die betäubungslose Ferkelkastration
Im Zuge einer Gesetzesnovelle im Jahr 2013 verbot der Gesetzgeber die schmerzhafte[10]Zum Schmerzempfinden: Hirt, in: Hirt/Maisack/Moritz/Felde, Tierschutzgesetz, 4. Auflage 2023, TierSchG, § 6 Rn. 18b m.w.N.. betäubungslose Kastration von Ferkeln im Alter von unter acht Tagen. Der Grund für die Kastration von Ferkeln ist, dass das Fleisch unkastrierter Eber einen urinartigen Geruch entwickeln kann, den sogenannten Ebergeruch.[11]Hirt, in: Hirt/Maisack/Moritz/Felde, Tierschutzgesetz, 4. Auflage 2023, TierSchG, § 21, Rn. 2.
Nach der Übergangsregelung blieb die bisherige Praxis zunächst aber noch bis zum Ablauf des Jahres 2018 erlaubt. Kurz vor Ablauf der Übergangsfrist billigte der Bundesrat Mitte Dezember 2018 eine vom Bundestag beschlossene zweijährige Verlängerung der Übergangsfrist bis Ende 2020.[12]Hirt, in: Hirt/Maisack/Moritz/Felde, Tierschutzgesetz, 4. Auflage 2023, TierSchG, Einleitung, Rn. 9, § 21 Rn. 1. Zur Begründung wurde angeführt, dass die verfügbaren Alternativen in Form der Aufzucht der unkastrierten Ferkel (Jungebermast), der Impfung gegen Ebergeruch und der chirurgischen Kastration unter Vollnarkose den Anforderungen der Praxis nicht gerecht werden würden.[13]Deutscher Bundestag Drucksache 19/5522, https://dserver.bundestag.de/btd/19/055/1905522.pdf. Die Verlängerung der Übergangsfrist wurde stark kritisiert.[14]Hirt, in: Hirt/Maisack/Moritz/Felde, Tierschutzgesetz, 4. Auflage 2023, TierSchG, § 21, Rn. 1 ff. m.w.N.
Trotz des Staatsziels Tierschutz aus Artikel 20a Grundgesetz (GG) waren während der acht Jahre andauernden Frist in Deutschland (22 Mio. x 8 Jahre =) 176 Mio. Ferkel den schweren Schmerzen der betäubungslosen Kastration ausgesetzt.[15]Hirt, in: Hirt/Maisack/Moritz/Felde, Tierschutzgesetz, 4. Auflage 2023, TierSchG, § 21, Rn. 9 m.w.N.. Hinzu kommt, dass die genannten drei Alternativen bereits in vielen anderen Ländern angewandt wurden.[16]Hirt, in: Hirt/Maisack/Moritz/Felde, Tierschutzgesetz, 4. Auflage 2023, TierSchG, § 21, Rn. 1 ff. m.w.N.
Die Tötung männlicher Küken
In seiner Entscheidung zum Tötungsverbot männlicher Küken entschied das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), dass das Töten der männlichen Küken nach heutigen Wertvorstellungen nicht mehr auf einem vernünftigen Grund beruhe und damit den Straftatbestand des § 17 Nr. 1 TierSchG erfülle. Die Belange des Tierschutzes wögen schwerer als das wirtschaftliche Interesse der Brutbetriebe, aus Zuchtlinien mit hoher Legeleistung nur weibliche Küken zu erhalten. Die bisherige Praxis sei allerdings jahrzehntelang hingenommen worden. Vor diesem Hintergrund könne laut Gericht von den Brutbetrieben eine sofortige Umstellung ihrer Betriebsweise nicht verlangt werden.[17] Mit der Entscheidung legitimierte das BVerwG die eigentlich strafbare Kükentötung entgegen den Strafvorschriften bis zum Ablauf der Übergangsfrist.
Können Landwirt:innen auf den Fortbestand des Status quo vertrauen?
Nach der Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichts kann bei Veränderung der Rechtslage „grundsätzlich nicht darauf vertraut werden […], dass eine günstige Rechtslage unverändert bleibt“.[17]BVerfG, NVwZ 2017, 1111. Übergangsregelungen sind immer dann erforderlich, wenn sich der mit dem neuen Gesetz angestrebte Rechtszustand nicht sogleich vollständig erreichen lässt, Zweifel bestehen, inwieweit Sachverhalte abgeschlossen oder noch offen sind und sich die Notwendigkeit eines Übergangszeitraumes unmittelbar aus den Grundrechten ergibt.[18]Bundesministerium der Justiz, Handbuch der Rechtsförmlichkeit, Übergangsvorschriften, https://hdr.bmj.de/page_c.7.html [zuletzt abgerufen am 21.03.2024]. Ein genereller Abwehranspruch gegen Veränderungen der Rechtslage besteht aber nicht.[19]Rux, in: BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 57. Edition, Stand: 15.01.2024, GG, Art. 20, Rn. 184. Eine grundsätzlich zulässige sogenannte unechte Rückwirkung liegt vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt.[20]Rux, in: BeckOK Grundgesetz, Epping/Hillgruber, 57. Edition, Stand: 15.01.2024, GG, Art. 20, Rn. 187.
Das BVerwG entschied beispielsweise zum Verbot der Käfighaltung, dass die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht verletzt seien. Die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung greife nicht gestaltend in einen in der Vergangenheit liegenden (abgeschlossenen) Sachverhalt ein, sondern knüpfe lediglich im Sinne einer unechten Rückwirkung tatbestandlich an Ereignisse vor ihrem Inkrafttreten an.[21]BVerwG, Urteil vom 23. 10. 2008 – 7 C 48/07.
Tierhaltende können sich demnach nicht darauf verlassen, ihr bisheriges Verhalten fortsetzen zu dürfen, auch nicht, wenn Investitionen in die Haltungsform getätigt wurden. Dies gilt insbesondere, wenn eine bisherige Haltungspraxis nur wegen einer Verordnung gerechtfertigt ist, aber eigentlich gegen das höherrangige Tierschutzgesetz verstößt. Es ist nicht plausibel, dass Haltungsformen, die für Schmerzen, Leiden und Tod ursächlich sind und/oder die Grundbedürfnisse der Tiere stark einschränken, über einen langen Zeitraum toleriert werden. Zu kritisieren ist bereits, dass vermeintlich tierschutzschützende Vorschriften erlassen werden, die aber im Ergebnis weiter das System von Ausbeutung und Tod von Tieren aufrechterhalten. Umso widersinniger ist es indes, besonders tierquälerische Haltungsformen wirtschaftlich zu belohnen und ihnen so Vorteile gegenüber neu errichten Betrieben zu gewähren.
Die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG enthält vielmehr einen zukunftsgerichteten Handlungsauftrag des Gesetzgebers.[22]Calliess, in: Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar, Werkstand: 102. EL August 2023, GG, Art. 20a, Rn. 132. Er hat Tierschutznormen ständig zu überprüfen und zu verbessern („Verbesserungsgebot“).[23]Hirt, in: Hirt/Maisack/Moritz/Felde, Tierschutzgesetz, 4. Auflage 2023, GG, Art. 20a, Rn. 15. Sollte der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber eine Übergangsfrist für erforderlich halten, darf diese wegen des Staatsziels Tierschutz allenfalls kurz bemessen sein.
Bei ernsthafter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertung des Staatsziels Tierschutz wären derartige, oben beschriebene tierschutzwidrige Haltungsformen per Gesetz oder Verordnung sofort zu beenden gewesen.
Ist seit März 2023 Teil des Rechtsteams bei PETA in Berlin und befasst sich schwerpunktmäßig mit tierschutzrechtlichen Themen.
Quellen